»Die ganze Gegend steckt voller Urnen« – Archäologie am »Roten Berg« bei Loitsche, nahe Wolmirstedt

Abb. 1: Ausgrabungssituation am »Roten Berg« (Foto: H. Stahlhofen).

Abb. 1: Ausgrabungssituation am »Roten Berg« (Foto: H. Stahlhofen).

»… die ganze Gegend steckt voller Urnen« – mit diesen eindrücklichen Worten beschrieb H. W. Schultheiß im Jahre 1875 eine Anhöhe bei Loitsche, den Roten Berg. Durch Sandabbau und Rodung traten dort bis ca. 1940 immer wieder Funde auf, die auf ein großes prähistorisches Gräberfeld hindeuteten. Neben Schultheiß war es H. Dunker, Museumsleiter in Wolmirstedt, der in den 1920er und 1930er Jahren die Erforschung vorantrieb.

Später machte der florierende Bergbau im Kaliwerk Zielitz die Aufschüttung einer Halde auf dem Terrain des Roten Berges notwendig. Deshalb wurden 1969 und von 1972 bis 1975 mehrere Ausgrabungen durch das Landesmuseum für Vorgeschichte Halle unter der Leitung von H. Stahlhofen durchgeführt. Zahlreiche Mitwirkende aus der Region, insbesondere Schüler halfen, weit über 600 Brandgräber zu bergen. Die untersuchte Fläche war mehr als 2500 m² groß.

Zwei prähistorische Gräberfelder

Abb. 2: Früheisenzeitliches Steinpackungsgrab während der Freilegung (Foto: H. Stahlhofen).

Abb. 2: Früheisenzeitliches Steinpackungsgrab während der Freilegung (Foto: H. Stahlhofen).

Schon bald stand fest, dass es sich um zwei Gräberfelder unterschiedlicher Zeitstellung handelte. Die landschaftlich markante Erhebung des Roten Berges am Rand der breiten Elbaue diente erstmals im 8. und 7. vorchristlichen Jahrhundert als Begräbnisstätte. In diesem Zeitraum entstanden auf der Bergkuppe vermutlich bis zu 50 Brandgräber. Der Fundplatz gehört damit während der frühen Eisenzeit zu den großen Gräberfeldern im nördlichen Mitteldeutschland.
Die überwiegende Zahl der meistens unverzierten Keramikurnen stand im Schutz von Steinpackungen oder kleinen Steinkisten im Boden. Außerdem fand man viele Urnen mit Deckschalen. Diese schützten im Inneren die sterblichen Überreste, den Leichenbrand, und die Grabbeigaben. Unter den relativ bescheidenen Beigaben sind einige verzierte Knochengegenstände, je eine Perle aus Glas und Bernstein, Nadeln aus Eisen und Bronze, eine Bronzepinzette und ein Bronzearmband besonders zu erwähnen. In wenigen Fällen enthielten die Gräber neben der Urne auch ein kleineres Beigefäß in Form einer Kanne oder einer Tasse. Diese dienten vermutlich als Behältnis für Trank- oder Speisebeigaben.
Im Zuge der wissenschaftlichen Auswertung ermöglichten die typischen Formgebungen der Keramikgefäße, die Bestattungssitte und die Grabbeigaben eine Zuordnung zum nördlichen Randgebiet der so genannten Hausurnenkultur.

Großes elbgermanisches Gräberfeld

Nach der Aufgabe des früheisenzeitlichen Gräberfeldes vergingen etwa acht Jahrhunderte. Erst dann weckte der Rote Berg erneut das Interesse als Begräbnisplatz – diesmal von elbgermanischen Siedlern.
Es waren wohl um die 800 Urnengräber, die diese Bevölkerung während der späten Römischen Kaiserzeit und Völkerwanderungszeit anlegte. Neben dem Gräberfeld von Zethlingen (Altmark) und dem von Schermen bei Burg, ist das Gräberfeld auf dem Roten Berg bei Loitsche damit eines der größten bekannten frühgeschichtlichen Gräberfelder in Sachsen-Anhalt!

Abb. 3: Spätkaiserzeitliche Urne während der Freilegung (Foto: H. Stahlhofen).

Abb. 3: Spätkaiserzeitliche Urne während der Freilegung (Foto: H. Stahlhofen).

Im Gegensatz zu den früheisenzeitlichen Gräbern standen die römisch-kaiserzeitlichen Urnen ohne erkennbare Grabgrube und nur in seltenen Fällen steingeschützt im sandigen Boden. Auch Deckgefäße oder Beigefäße gab es nicht. Die Urnen befanden sich in unterschiedlicher Tiefe im Boden – im Mittel bei 60 Zentimetern. Die Lage der Gräber wurde nach genauer Vermessung in einem Plan eingezeichnet. Daneben entstanden Fotos der Ausgrabungssituation. Es zeigte sich, dass die meisten Gräber südlich unterhalb der Kuppe des Roten Berges lagen.

Die Urnen wurden erst nach der Ausgrabung in der Restaurierungswerkstatt des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle entleert. So konnten teilweise bestimmte Schichtungen des Leichenbrandes festgestellt sowie die sehr kleinteiligen Grabbeigaben vollständig erfasst werden.
Dazu zählten das „Urnenharz“ (65 % der Gräber), Kammbruchstücke aus Knochen (34 %), Glasperlen (18 %), zwei Fayenceperlen, Ringfragmente aus Elfenbein in zwölf Gräbern, Spielsteine aus Knochen, ein Geweihrosenring, zwei Fibeln aus Bronze, zwei Schnallen aus Eisen und Bronze, eine Bronzepinzette, ein Spinnwirtel und Tierknochen von Schaf/Ziege, Schwein und Rind.
Insgesamt enthielten 80 % der Gräber Beigaben. Vielfach waren diese jedoch sehr unscheinbar. Zum einen hatten die hohen Feuertemperaturen auf den Scheiterhaufen diese starken Fragmentierungen hervorgerufen. Zum anderen scheint es, als wären die kleinen Objekte zusammen mit dem Leichenbrand im Zuge der Scheiterhaufenauslese eher zufällig in die Urnen gelangt.
Neben den überwiegend einheimisch-germanischen Fabrikaten im Grabinventar belegen die Glas- und Fayenceperlen sowie die Elfenbeinringfragmente Kontakte in provinzialrömische Gebiete.

Die umfangreichste Fundgattung des Gräberfeldes waren die Keramikgefäße. Wie Abnutzungsspuren an den Gefäßböden zeigten, wurden sie zum Begräbnis aus dem Bestand der Siedlungen entnommen und zu Urnen umfunktioniert. Dabei wählte man bevorzugt feinkeramische Gefäße mit einer polierten Oberfläche aus. 69 % der Gefäße waren mit Verzierungen versehen, zum Beispiel Riefen, Rillen, Leisten, Dellen oder Buckel.
Als eine Besonderheit gelten drei Urnen, die auf der schnell rotierenden Drehscheibe hergestellt wurden. Sie stammten nicht aus der Region. Außerdem gibt es in Loitsche Gefäße, die eine verblüffende Formverwandtschaft zu Urnen anderer zeitgleicher Gräberfelder im Mittelelbegebiet aufweisen.

Bis in die Völkerwanderungszeit

Während der wissenschaftlichen Auswertung konnten Anhaltspunkte für einen zeitlichen Wandel der Formgebungen der Gefäße herausgearbeitet werden. Damit gelang es, die Belegungszeit des germanischen Gräberfeldes zu bestimmen: Die ersten Gräber entstanden um das Jahr 200 n. Chr. zu Beginn der späten Römischen Kaiserzeit.

Abb. 4: Römisch-kaiserzeitliche Urnen und zugehöriger Leichenbrand (Foto: A. Hörentrup).

Abb. 4: Römisch-kaiserzeitliche Urnen und zugehöriger Leichenbrand (Foto: A. Hörentrup).

Spätestens im frühen 6. Jahrhundert n. Chr., in der so genannten Völkerwanderungszeit, wurde das Gräberfeld aufgegeben. Es waren unruhige Zeiten: Langobarden zogen von Norden in das Gebiet des heutigen Niederösterreichs und im Jahr 531 brach eine Schlacht die politische Macht der Thüringer.

Nach Aussage der anthropologischen Leichenbranduntersuchungen durch R. Schafberg wurden statistisch gesehen über diesen Zeitraum pro Jahr zwei bis drei Tote auf dem Roten Berg beerdigt. Das heißt, dass man mit einer ca. 70 bis maximal 100 Personen zählenden Bestattungsgemeinschaft zu rechnen hat. Sehr wahrscheinlich lebten diese Menschen in mehreren Gehöften in der Umgebung des Gräberfeldes.

Ob sich die auf dem Roten Berg bestattenden germanischen Siedler einem Stamm zugehörig fühlten, ist ungeklärt. Hierüber schweigen sowohl die antiken Schriftquellen als auch die vorliegenden archäologischen Funde.

Text: Dr. F. Gall

Hinweis: Zur den prähistorischen Gräberfeldern auf dem Roten Berg bei Loitsche liegt vom gleichen Autor ein Buch mit detaillierten Ausführungen sowie einem umfangreichen Abbildungsteil vor, das beim Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt erhältlich ist.

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